Mein erstes Gärtchen bestand aus fünf Eisbegonien. Ich pflanzte sie auf einen sonnigen Fleck im ansonsten vernachlässigten Garten einer Tante. Damals wusste ich noch nicht, dass Samen der Immerblühenden Begonien einst aus der Erde von Pflanzen gekeimt waren, die Friedrich Sello aus Porto Allegre an den Botanischen Garten in Berlin geschickt hatte. Ich ahnte nicht, dass ich eines Tages staunend und voller Ehrfurcht die wiederentdeckten Tagebücher des Brasilienreisenden in Händen halten würde.
Erinnerungsstücke aus dem Besitz von meinem Urgroßvater Emil Sello kamen ins Haus, wertvolle Silbersachen, die bis heute in Gebrauch sind, zwei große englische Lithographien in prunkvollem Goldrahmen, Hinweise auf den Lebensstil, den die Familie des Hofgärtners pflegte. Seine letzte Wohnung hatte 10 Zimmer. Mein Mann und ich besitzen auch ein paar von den Tellern mit Persius-Bauten und seit Kurzem zwei Rosen aus Theodor Nietners Rosengarten, in Gestalt zweier Lithographien. Die Hofgärtner waren und sind in den Häusern ihrer Nachkommen immer noch gegenwärtig, auch in dem Medaillon aus Dukatengold, das ich trage, es enthält die Bildnisse des Kronprinzen Friedrich Wilhelm und seiner Frau Victoria, "Weihnachten 1872" ist auf der Rückseite eingraviert, vermutlich ein Geschenk des Kronprinzenpaares an Emil Sellos Frau Johanna.
Ich bin eine Ur-Enkelin von Emil Sello. Seine Tochter Victoria, benannt nach der Kaiserin Friedrich, die ihre Patin war, war verheiratet mit Pierre George Pignol, der aus einer alten Berliner Hugenottenfamilie stammt. Sein Vater Charles Louis Etienne Pignol, hat um 1865 die Seidenfabrik in Potsdam erworben, die dann Pignol & Heiland hieß. Paul Heiland, der Erbe der Seidenfabrik, der in Potsdam kein Unbekannter ist, ist ein Vetter meines Vaters. Aber das ist eine andere Geschichte.
Einer Familientradition der Sellos und Nietners folgend, habe ich einen entfernten Vetter geheiratet - Brun Aretin Eggert, einen Ur-, Urenkel von Ludwig Persius und seiner Frau Pauline Sello. Wir beide sind also schon von unserer Herkunft her hervorragend qualifiziert, eine Familienchronik zu verfassen und haben seinerzeit den Auftrag der Familienversammlung mit Begeisterung angenommen. Vorarbeit hatten wir schon geleistet.
Wir Nachgeborenen, die wir erst Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts das erste Mal nach Potsdam kamen, kannten uns in Potsdam und Berlin nicht aus. Ich hatte einst den Katalog "Berlin durch die Blume oder Kraut und Rüben", der 1985 erschienen war, durch und durch studiert, dort fand ich zum ersten Mal konkrete Angaben über unsere Vorfahren und ihr Werk.
Dann fiel die Mauer, nicht nur im Rahmen der Familientage erkundeten Brun und ich und unsere Söhne die Gärten, die Gärtnerhäuser, die Schlösser, die Bauten von Ludwig Persius, und wir schleppten unsere Freunde nach Sanssouci.
Dort begegneten wir dann auch dem Hofgärtner Sello. Es war seltsam, seit 1748 hatte es in Sanssouci immer einen oder mehrere Hofgärtner Sello gegeben. Ich stellte fest, dass sie im Bewusstsein der Leute zu einer geradezu mythischen Gestalt zusammengeschmolzen waren.
Meine Aufgabe war es, das Wissen über die Hofgärtner zusammenzufassen, nach umfangreichen Recherchen in der Literatur, in unserem und anderen Archiven und Museen die Texte zu verfassen. Alles Organisatorische rund um die Chronik, Terminvereinbarungen mit Archiven, Museen und Heimatforschern usw., die Organisation unserer Reisen, auch alle Fotoarbeiten, schließlich die Verhandlungen mit der Druckerei, waren Bruns Aufgabe, der auch die Hauptarbeit beim Layout des Buches geleistet hat. Wir hatten von Anfang an eine Vorstellung davon, wie unsere Chronik aussehen sollte. Auf keinen Fall sollte es ein Billigdruck am heimischen Computer werden, sondern ein Buch mit festem Umschlag, mit dem man sich zum Schmökern in die Sofaecke setzen konnte. Deshalb wählten wir eine gute Papierqualität und haben auch alle Abbildungen fachmännisch überarbeiten lassen. Die äußere Gestaltung und Ausstattung sollte der Stellung und Bedeutung der Hofgärtner angemessen sein.
Ich wollte eine Chronik zu schreiben, in der alles das stehen sollte, was ich gerne über unsere Vorfahren gewusst hätte, die Chronik sollte auch eine Art Führer durch das preußische Arkadien werden, damit die Nachkommen beim Gang durch die Parks und Gärten wussten, z.B.: der Marly-Garten war das Revier des Küchengärtners Johann Samuel Sello, in diesem 1752 von Knobelsdorff erbauten Haus hat er mit seiner großen Familie gelebt, er betreute den Küchengarten Friedrichs des Großen und hat die königliche Tafel mit Gemüse, Salat, Kräutern und Obst versorgt. Als Illustration vorgesehen: ein Aquarell von Hermann Schnee, die Porträts von Johann Samuel und seiner Frau Maria Luisa Kleist sowie ein Plan des Parks mit dem Marly-Garten. - Nach diesem Muster habe ich die Texte verfasst, nachdem ich mir die einzelnen Informationen - sei es über die Reviere, sei es über die Häuser, die Ausbildung usw. aus der Literatur zusammengesucht hatte. Die Chronik ist chronologisch und nach Generationen geordnet. Mit einem Blick ins Inhaltsverzeichnis stellt man zum Beispiel fest: In der zweiten Generation wirkte Ehrenreich Wilhelm Sello im Tiergarten, sein Bruder Johann Samuel Sello in Sanssouci. Johann Joseph Nietner, Lehrling von Johann Justus Sello, verheiratet mit Anna Catharina Sello, wirkte in Schönhausen. Die beiden haben die Gärtnerdynastie Nietner begründet.
Das Wissen und die neuesten Forschungsergebnisse über die Hofgärtnerfamilien Sello und Nietner konnte nun zum ersten Mal zusammengeführt werden, Briefe und Bilder aus unserem Archiv richtig eingeordnet werden usw., daraus hat sich eine Reihe neuer Einsichten ergeben über das Leben und das gesellschaftliche Umfeld der Hofgärtner, Lücken im Stammbaum konnten geschlossen werden, Verflechtungen der Sellos mit den Fintelmanns, auch mit anderen Potsdamer Familien wurden wieder - entdeckt.
Brun und ich haben Stammbaumübersichten erarbeitet, erstmal für uns - es ist nicht einfach, die Übersicht zu behalten über 18 Kgl. Hofgärtner, ihre Frauen und ihre vielen Kinder, die das Glück hatten, im Park von Sanssouci aufzuwachsen. Nur wenige konnten in der Chronik erwähnt werden. Die Chronik enthält die genealogischen Daten aller behandelten Personen, soweit sie bislang bekannt sind. Die eigentliche Genealogie wurde von einem anderen Familienmitglied neu recherchiert, aber mir wurde der Zugriff auf diese Daten verweigert, auch wenn ich den Anstoß zur Recherche gegeben hatte.
Man muss sich das mal richtig vor Augen halten: drei Sellos haben am Tiergarten gewirkt, sechs in Potsdam. Die Nietners gehören nach Schönhausen, drei von ihnen waren dort Hofgärtner, andere begannen ihre Laufbahn in der Königin-Plantage von Königin Elisabeth Christine. Einige Nietners wirkten in Sanssouci, in Caputh und in Paretz, im Neuen Garten, in Babelsberg, in Monbijou und in Charlottenburg. Einer war lange Jahre in Steinhöfl beschäftigt, ein anderer in Schwedt. Nicht alle Nietners sind bislang ausreichend erforscht. Die Liste aller Hofgärtner steht außen auf dem Buchdeckel, damit man eine erste Übersicht hat.
Ich habe die Hofgärtner in ihre Zeit gestellt - moderne Literatur zur preußischen Geschichte war Pflichtlektüre - und ihren sozialen Aufstieg verfolgt, vom Handwerker, der sich von Friedrich d. Großen anschnauzen lassen musste, zum "Herrn Hofgärtner", bis zu der angesehenen Stellung, die Hermann Sello und sein Schwager Ludwig Persius einnahm mit ihrem besonderen Verhältnis zu Friedrich Wilhelm IV.
Bei unseren Recherchen stellten wir fest, dass der Name Peter J. Lenné allgemein bekannt war, dass aber kaum jemand wusste, dass es noch andere Gartenmeister vor und nach ihm gegeben hatte und vor allem: Bataillone von Hofgärtnern.
Kaum jemand konnte sich so recht eine Vorstellung machen, was es mit den Hofgärtnern auf sich hatte. Die Biographin von Leopold Sello, Sohn von Johann Wilhelm Sello, Bergwerksdirektor in Saarbrücken, behauptet, er sei auf Schloss Sanssouci geboren. Peter Goldammer, der den Briefwechsel zwischen Theodor Storm und Rudolf Hermann Schnee und seinen Kindern in Krakau gefunden hatte, spürte auf der Suche nach der Verwandtschaft von Hermann Schnee immerhin Dieter Fintelmann auf, der den Aufsatz kannte, den Klaus A. Eggert über den Landschaftsmaler Hermann Schnee geschrieben hatte. Wir hatten also immer wieder Aufklärungsarbeit zu leisten, in diesem Falle im Literaturmuseum Theodor Storm in Heiligenstadt. Wir merkten bald, dass die Geschichte der Hofgärtner weit über den Familienkreis hinaus Interesse fand. Unsere Chronik könnte nützlich sein für die Besucher der Parks und Gärten und auch ein Handbuch sein für die Mitarbeiter der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten.
Weil es aber weiterhin eine Familienchronik sein sollte, haben wir uns nicht auf die 18 Hofgärtner beschränkt.
Was wären die Hofgärtner ohne ihre Frauen! Ungerechterweise hat man sich bislang noch kaum um sie gekümmert. Dabei kann man schon einiges lernen, wenn man nur in die Genealogie schaut. Sobald der Gärtner, ob Sello oder Nietner, seine feste Anstellung als Hofgärtner hat, heiratet er. Er brauchte eine recht handfeste Frau, die mehr konnte als Staub putzen, die der vielen Arbeit und den vielen Schwangerschaften gewachsen war. Alle zwei Jahre wurde ein Kind geboren, Charlotte Anger, die Frau von Christian Ludwig Samuel Sello, durchlebte 10 Schwangerschaften, sechs ihrer Kinder erreichten das Erwachsenenalter - Hermann Sello, unser Stifter, und seine fünf Geschwister Bertha, Pauline, Werner, Louise und Emil. Charlottes Töchter Bertha und Louise, ebenfalls alle zwei Jahre schwanger, starben jung nach einer Schwangerschaft, Bertha Nietner war 32 Jahre alt, Louise Schnee 33. Nicht nur die eigenen Kinder waren zu betreuen und zu erziehen, die Lehrlinge - manchmal die eigenen Neffen - lebten im Haushalt des Hofgärtners, die Gesellen waren zu beköstigen. Jedenfalls, ohne eine große Zahl von Hilfskräften konnte eine Hofgärtnersfrau ihr Aufgaben nicht bewältigen.
Ludwig Persius, der die "Villa Sello" für seinen Schwager Hermann Sello in eine herrschaftliche Villa umbaute, hat noch einen Kuhstall und eine Butterkammer in seinen Entwurf gezeichnet, - die Hofgärtner hatten von alters das Privileg, Kühe zu halten, aber es ist unvorstellbar, dass die schöngeistige Aline gebuttert haben soll.
Für Rosina Calamé dagegen, die Frau von Johann Wilhelm Sello, Planteur an der Kunstmühle, kann man sich das vorstellen. Hat sie vielleicht auch ihre Wäsche auf den Wiesen von Sanssouci zum Bleichen ausgebreitet? Hatte sie das Geflügel zu betreuen? Die hohen Herrschaften wünschten sich das manchmal, als Dekoration und Belebung der Parkszenerie. Hermann Schnee hat ein Bild einer solchen Szenerie gemalt, eine junge Frau steht vor Knobelsdorffs Gartenhaus im Tiergarten und füttert die Tauben.
Scharen von Hofgärtnerskindern haben die Gärten von Sanssouci und Schönhausen bevölkert. Einigen Lebensläufen sind wir nachgegangen - das war der spannendste Teil unserer Recherchen. Da sind zunächst die Reisenden:
Friedrich Sello, den Sohn von Carl Julius Sello, habe ich schon erwähnt. Vielleicht gibt es Sello-Abkömmlinge, die auf seinen Spuren nach Brasilien oder Uruguay reisen möchten? Oder auf den Spuren von Louis Nietner nach Java? Der Name John Nietner ist heute noch in Sri Lanka bekannt. Er hat dort Leber- und Laubmoose gesammelt und vor allem Käfer, Teile seiner Sammlungen befinden sich im Deutschen Entomologischen Institut.
Ein später Nachkomme der Sellos, Ernst Betche, ist in Australien heimisch geworden. Er war ein Botaniker, der nur seiner Wissenschaft gelebt hat.
Zu den Weltreisenden der Sippe gehört auch eine Frau, Marie Pauline Thorbecke geb. Berthold, die 1912/13 ihren Mann Franz Thorbecke auf einer Kamerunexpedition begleitete. Wie sehr hat sie, ihrem Wesen nach ganz preußische Disziplin, unter der Unzuverlässigkeit und Trägheit der bis zu 150 Träger gelitten, die die reichen Sammlungen der Expedition zu transportieren hatten!
Auch Leopold Sello, der Sohn des Planteurs Johann Wilhelm Sello, der tüchtige Bergwerksdirektor in Saarbrücken, löste sich nicht von seinen Wurzeln, er investierte das Vermögen seiner reichen Frau in einen Wald.
Der Landschaftsmaler Hermann Schnee sammelte seine ersten Naturerlebnisse in der Potsdamer Parklandschaft. Vater Schnee und seine beiden Kinder Hermann und Louise waren mit Theodor Storm befreundet, der Dichter hatte viel Verständnis für die Künstlernatur des jungen Mannes, während seine Onkels Hofgärtner und seine Tanten eher misstrauisch auf den unzuverlässigen Schüler und Studenten blickten. (Murrend haben sie nach dem frühen Tod seines Vaters seinen Unterhalt bezahlt und seine Schulden.) Seine Tante Pauline Persius schrieb gar an eine Freundin: "Mir wird ganz bange, wenn ich sehe, mit welcher Wollust er gar nichts tut!" Nein, das Nichtstun war die Sache der Hofgärtner gewiss nicht! Hermann Schnee ist schließlich auch noch ein fleißiger und erfolgreicher Landschaftsmaler geworden.
Etliche Hofgärtnerstöchter haben sich durch Heiraten in die Potsdamer Geschichte eingeschrieben. Nur ein Beispiel, erst kürzlich entdeckt: Johann Samuels Tochter Marie Christiane wurde 16-jährig an den 43-jährigen Forstmeister Gottlieb Daniel Betche verheiratet und hat mit ihm im Memelland und in Ostpreußen gelebt. Betche war ein Onkel von August Friedrich Eisenhart. Der war nicht nur der Wohltäter Potsdams, sondern sorgte auch großzügig für seine Verwandtschaft. Davon profitierten Marie Christiane und ihre drei Kinder, als sie 1823 aus Ostpreußen zurückkamen. Marie Christiane erbte ein Haus in Zossen. Ihre Tochter Wilhelmine verh. Kahlbau erwarb von dem von Eisenhart ererbten Geld das Haus "Allee nach Sanssouci 5" - heute Sitz der Generaldirektion. Ihre Tochter Johanna wurde die Frau von Emil Sello.
Marie Christianes Tochter Auguste heiratete Eduard Tummeley, den Universalerben von Eisenhart. Eduard ließ die Villa Tummeley erbauen, heute Berliner Straße 29. Den Garten der Villa Tummeley legte der Hofgärtner Gustav Adolf Fintelmann an. Zwei der vier Söhne Tummeley heirateten zwei der schönen Töchter Fintelmann usw.
Auch Kurt E. Rosenthal, unser zweiter Stifter, war geprägt durch seine Herkunft und die gärtnerische Tradition. Er hat das Fortbestehen des Sello-Familienfriedhofs in Bornstedt und der Familienstiftung über den 2. Weltkrieg hinaus gesichert. Sein Lebenswerk, die Brandenburgische Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke AG ist ihm von den Nazis genommen worden wegen seiner jüdischen Großeltern.
Kurt E. Rosenthal war es auch, der in den 30er Jahren die Anregung gegeben hat, eine Familienchronik zu erstellen. Brun und ich sehen uns in dieser Tradition und in der Verantwortung jenen gegenüber, die sich für den Erhalt des Friedhofs und der Familienstiftung eingesetzt haben. Wir haben schöne Jahre in der Gesellschaft der Hofgärtner, ihrer Frauen und Kinder zugebracht, Jahre, die unser Leben bereichert haben. Bereichert haben uns auch die Begegnungen mit den Menschen, die das Werk der Hofgärtner bewahren und es fortsetzen.
Wir sind glücklich und auch ein bisschen stolz, dass wir einen kleinen Beitrag zu dem großen Werk leisten konnten und heute die Chronik der preußischen Hofgärtnerdynastien Sello und Nietner vorlegen können:
Hofgärtner in Bataillonen!