Bei der Rückschau auf die Gründung des preußischen Staates durch die Selbstkrönung Friedrichs I. in Preußen am 18. Januar 1701 sei die Frage gestattet, wer denn den Königen ihre Gärten anlegte und pflegte, wer ihre Vorliebe für seltene Pflanzen und auserlesene Früchte befriedigte. Die Gartengestaltung hatte einen hohen Stellenwert bei den Fürsten, ja, man sprach von der "löblichen Gartenkunst". Eine dreijährige Lehrzeit und anschließende Reisen zu den berühmtesten Gärten Europas sowie die Spezialisierung bei einem Hofgärtner waren die Voraussetzungen, um eine Anstellung in den königlichen Gärten zu erhalten. Wer dieses Ziel erreicht hatte, versuchte die erworbenen Kenntnisse und geheimen Kniffe an die eigenen Kinder weiterzugeben. So entstanden regelrechte Hofgärtner-Dynastien, deren Leistungen in vielen Publikationen gewürdigt werden. Beinahe unbekannt sind jedoch die Mütter und Frauen an ihrer Seite. Auf der Suche nach der Herkunft und den Lebensumständen preußischer Hofgärtnerfamilien entdeckte ich, daß eine Jungfer aus Liebenwalde dabei eine nicht unwesentliche Rolle spielte.
Eine der berühmtesten Hofgärtnerfamilien wurde mit Johann Justus Sello (1690-1768) begründet. Er war zunächst Gärtner beim Staatsminister Ehrenreich Boguslav von Creutz und erhielt 1718 eine Anstellung als "Königlicher Planteur" im Berliner Tiergarten mit der Verpflichtung, auf einem Terrain am Weg nach Tempelhof eine Baumplantage anzulegen und die Anpflanzungen in und um Berlin zu besorgen /1/.
Kurz zuvor hatte Johann Justus geheiratet: "Jgfr. Rahel Günschen, sel. Herrn Samuel Günschen, gewesen Bürgermeisters in Liebenwalde hinterl. ehel. Tochter", wie aus dem Traueintrag in der Berliner Luisen-Kirche vom 7. März 1718 (S. 192) zu ersehen ist./2/
Im Liebenwalder Kirchenbuch (1693, S. 76) ist mit knappen Worten ihre Taufe eingetragen: "Dom 8 p. Trinit. M. Samuel Güntsch filiam Rahel". Auf die Mutter gibt es keinen Hinweis./3/ Als Paten sind Herr Hofmeister, Herr Einacher oder Finacher, Frau Rückersche, Fr. bürgem... genannt. Nach dem damals gültigen julianischen Kalender fand die Taufe am 6. August 1693 statt. Der Taufeintrag stammt von Pastor Güntsch, der bei seinem Amtsantritt ein neues Kirchenbuch angelegt hatte. Johann Bartholomaeus Güntsch war 1677 von dem Bernauer Probst Schoeppius in sein Amt als Pastor in Liebenwalde eingeführt worden./4/ Er war Rahels Onkel; ihre Mutter hieß Ursula Güntsch geb. Rahdicke, so erfährt man aus Familienunterlagen.
Johann Justus Sello und Rahel, geb. Güntsch, hatten fünf Kinder:
Die Familie Sello wohnte an der Lindenstraße hinter dem Kammergericht /7/, hatte dort ein eigenes Haus und natürlich auch einen eigenen Garten.
In den Jahren 1743 bis 1746 bildete Johann Justus Sello einen Lehrling namens Johann Joseph Nietner (1726-1803) aus, der am 13. Oktober 1755 die jüngere der Zwillingsmädchen, Anna Catharina, heiratete und mit dem eine weitere Hofgärtnerdynastie ihren Anfang nahm. Nach der Hochzeit zog das junge Paar nach Sagan in Schlesien, wo Joseph Nietner als Kunst- und Lustgärtner beim Fürsten von Lobkowitz eine Anstellung gefunden hatte.
1769 wurde er zum Hofgärtner in Schönhausen berufen /8/, dem Sommersitz von Königin Elisabeth Christine (1715-1797), Gemahlin Friedrichs II. Das Schloß Schönhausen liegt in der Gemarkung des Dorfes Niederschönhausen und gehört heute zum Stadtbezirk Pankow von Berlin. Dort also wirkte Joseph Nietner bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1795. Von seinen acht Kindern ergriffen zwei Söhne den Gärtnerberuf und wurden zu Hofgärtnern ernannt, Christian Wilhelm Nietner (1756-1822) und Carl Friedrich Nietner 1766-1824).
Leider wissen wir nicht, wie alt Mutter Rahel wurde. Ein Sterbeeintrag ließ sich bisher nirgends finden. Ihr Ehemann Johann Justus Sello starb nach einem arbeitsreichen Leben am 19.10.1768 im Alter von 79 Jahren "an der Colicke" in seinem eigenen Hause hinter dem Kammergericht (Dom-Berlin, S. 160). Einen Hinweis auf eine nachgelassene Witwe gibt es nicht, lediglich den Vermerk "Seine Kinder sind alle majorenn."
Dagegen können wir mit Gewißheit sagen, daß Rahel Güntsch aus Liebenwalde die Stamm-Mutter von acht königlichen Hofgärtnern Sello und acht königlichen Hofgärtnern Nietner ist. Die Namen ihrer Söhne, Enkel und Urenkel künden von der künstlerischen Gestaltung der königlichen Gärten in Berlin und Potsdam. Ihre Erfahrungen im Umgang mit der jahreszeitlich wechselnden Natur, deren Gesetzen von Werden und Vergehen sowie ihre schöpferischen Fähigkeiten kann man zum Teil noch heute bewundern.
Anmerkungen der Verfasserin zum Aufsatz:
Gisela Langfeldt