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Eine Reise nach Java

12.11.1848-03.04.1849


Nach Tagebüchern von Louis Nietner und Hermann Peltzer

An einem strahlend schönen Novembertag des Jahres 1848 segelte die Bark "Laurens Koster" unter vollem Zeug hinaus auf die Nordsee. Ihr Ziel war Batavia in Ost-Indien (Niederländisch Indien). An Bord des Handelsschiffes befand sich ein Kontingent Königlich-Niederländischer Kolonialtruppen: vier Offiziere und 140 Unteroffiziere und Mannschaften. Vor dem Aufbruch hatten Offiziere und Unteroffiziere Angehörigen und Freunden ein letztes "Farewell" zugerufen - per Annonce:

Abschiedsanzeige u.a. von Louis Nietner
Annonce zum Auslaufen der "Laurens Koster"
(www.delpher.nl)
Aus: Algemeen Handelsblad - 13.11.1848, Amsterdam

Es war wohl kein Zufall, dass Hermann Peltzer, der befehlende Offizier, und der Sergeant Louis Nietner, ein Sohn des Königlichen Hofgärtners Theodor Nietner, auf dem gleichen Schiff nach Java segelten. Louis Tante Elisabeth Peltzer geb. Nietner war die Stiefgroßmutter von Hermann Peltzer. Beide stammten aus traditionsreichen und angesehenen Familien. Der 31-jährige Hermann wollte in der Niederländischen Kolonial-Armee Karriere machen, der 23-jährige Gärtner Louis suchte wohl das Abenteuer, vielleicht lockte ihn die reiche Käfer-Population der tropischen Insel und der Beruf eines Naturforschers und Sammlers.
Beide haben ein Reisetagebuch geführt, das von Hermann blieb im Original erhalten. Der erste Teil von Louis Tagebuch ist verloren, der zweite Teil ist nur in einer Abschrift überliefert.

Nach Hermann Peltzers Tagebuch:

22.10. Die Männer werden in Harderwijk/Zuidersee eingeschifft, verabschiedet durch das "Korps Hoornblazers" des "Kolonialen Werft-Depots". Dort waren sie für ihre Aufgabe in den Kolonien ausgebildet worden. Die Truppen bestanden aus niederländischen und europäischen Freiwilligen.

23.-29.10. Überführung der Truppen über Amsterdam - Gouda - Rotterdam - Niuwesluis - zum Kriegshafen Hellevoetsluis. Wenn nicht warm gekocht werden konnte, erhalten die Mannschaften Brot, Käse und Jenever, sonst z.B. Rotkohl, Kartoffeln und Speck. Den Offizieren geht es gut: "deeze beide avonden hebben wij in elkanders gezelschap onder het drinken van grogjes aangenaam doorbracht" schreibt Hermann.
29.10. Offiziere und Mannschaften gehen an Bord der "Laurens Koster", die Mannschaften empfangen "sheepshemden", Pfeifen, Tabak und Seife. Sie liegen auf Reede und warten auf günstigen Wind (nähere Angaben zur "Laurens Koster" sowie das Foto eines Modells).
05.11. Zwei Mann erkranken an Cholera und sterben. In den nächsten Tagen weitere Erkrankungen und Todesfälle.
10.11. Alle Kranken werden von Bord geholt und kommen ins Lazarett.
12.11. Bei günstigem Wind segelt die Bark ab.

13.11. Auf See weitere Erkrankungen und Todesfälle, die "Laurens Koster" geht in der Nähe von Calais vor Anker.
15.11. Da eine Rückkehr in die Niederlande nicht möglich ist, erhalten sie Weisung, den englischen Hafen Sheerness (Kent) anzulaufen.
15.11. - 19.12. Aufenthalt in Sheerness, die Mannschaften werden unter Quarantäne gestellt. Gesunde und Kranke werden getrennt und auf zwei Lazarettschiffen untergebracht. Hermann Peltzer unternimmt mehrere Ausflüge nach London, teils dienstlich, teils privat und besichtigt die Sehenswürdigkeiten. Louis Nietner schickt den ersten Teil seines Tagebuchs nach Schönhausen, an seine Eltern und Geschwister. (Das Tagebuch ist verloren.)
25.11. Rückkehr der Mannschaften auf die "Laurens Koster". Geregelter Dienst, das aus Rotterdam stammende Wasser wird vorsorglich ausgetauscht. Dann wartet man auf günstigen Wind.
19.12. Um 11 Uhr wird der Anker gelichtet, bei günstigem Wind gute Fahrt.
24.12. Sturm

Louis Nietner: Weihnachtssturm in der Biskaya

"Gombong, 15. Mai 1849

Meine lieben Eltern und Geschwister!
Endlich, endlich ein Brief aus dem Auslande! Ich kann mir vorstellen, wie groß die Freude sein muss, wenn nun nach gewiss sieben Monaten ein Brief ankommt, [...] aber zur Vorrede muss ich gleich bemerken, dass ich diese Zeilen aus dem Lazarett schreibe. [...]
In der ersten Hälfte des Dezember, noch aus Sheerness war es, wo ich meine letzten Worte an die liebe Heimat schickte. [...] Mit einem günstigen Winde verließen wir den englischen Hafen, nachdem sich keine Spur von Krankheit seit einigen Wochen mehr geäußert hatte. Und diesmal ging es dann auch glücklicher, wir passierten schnell die Untiefen am Ausgang des Kanals und waren nun endlich auf den himmlischen blauen Wogen des Atlantischen Ozeans. Weihnachten nahte, das liebe heitere Fest. Ihr könnt Euch denken, wie mir bei diesen Gedanken zu Mute wurde - doch ich sollte es nicht ungefeiert vorüber gehen sehen. Poseidon und Äolus feierten Weihnachten und zwar großartiger, als ich's je gesehen. [...]
Am Heiligabend wurde das Wetter so ungestüm, die Wolken zogen drohend und finster über den Himmel, dass an Bord alle Vorbereitungen getroffen wurden. Das Sturmsegel ward am Besanmast aufgehisst, die Ziegen-, Schweine- und Gänsestelle, kurz, alles Bewegliche, mit Ketten und Tauen an die Masten gebunden, die Eingänge am Zwischendeck wurden geschlossen bis auf eine kleine Öffnung. [...] Niemand durfte mehr an Deck und eine ängstliche, peinliche Stille trat an die Stelle der rohen Späße, die sonst den Hochgenuss der freien Stunden ausmachten. Die Lippen, von denen man sonst nichts hörte wie die schauerlichsten gemeinsten Schwüre und Flüche, murmelten jetzt ängstlich, halblaut die Worte, die die Augen gedankenlos aus der Bibel lasen. Es ist mir ein ekelhafter widriger Anblick, diese feige Scheinheiligkeit, fast unausstehlicher als konsequente Gemeinheit.
[...] Auch ich ging mit hinauf. Auf den Knien musste ich zu den Masten kriechen, um erst einen sicheren Standpunkt zu erreichen, dass ich nicht hingespült würde von den gewaltigen Meerbergen, die jeden Augenblick das Schiff zermalmen zu wollen schienen. Alle Segel waren weg. Wenn das Schiff so hinabgeschleudert wurde in die Tiefe und hinaufstieg in die Wolken, dann war's, als ob der Himmel sich wogend drehte wie die Meeresflut; der blasse Mond verschwand bald unter den Wogen, bald stand er dicht über den Masten, als ob er sie berührte, und der Sturm heulte und pfiff in den Tauen, [...] Es war ein grausig-großartiges Schauspiel, diese Weihnachtsfeier der Elemente. [...] Mit meinem Tau hatte ich mich am Besanmast festgebunden und erwartete so den anderen Morgen. Nass bis auf die Haut und fiebernd kroch ich in meine Hängematte." [...]

Weiter Hermann Peltzer:

10.01.1849: Je weiter sie nach Süden kommen, desto besser wird das Wetter. Hermann genießt die Mondscheinnächte an Deck. Die Unteroffiziere erhalten zweimal wöchentlich Unterricht. Dann liegen sie in den Kalmen fest, zusammen mit vielen anderen Schiffen.
22.01. Überquerung des Äquators; sie lassen eine Flaschenpost zu Wasser, mit der Nachricht, dass "een transport Hollandsche troepen ... op het ship Laurens Koster de linie was gepasseerd". Sie kommen nur langsam voran, das Wetter wird schlechter. Die Mannschaften amüsieren sich mit dem Fang von Albatrossen, auch Haien und Thunfischen. An Bord wird viel gesungen, hauptsächlich Arien aus Opern und Operetten. Die Verpflegung ist gut, auch die Mannschaften erhalten gelegentlich Wein.
22.02. Bei stürmischem Wetter umrunden sie das Kap der Guten Hoffnung und erreichen den Pazifik.

29.03. Sonderalarm und "een driewerf hoerah!" Die "Laurens Koster" erreicht Prinsen Eiland vor der Sundastraße - das zukünftige Vaterland. Nachts müssen sie ankern. Javaner kommen an Bord und verkaufen Früchte. Hermann erwirbt ein Äffchen.
03.04. Sechs Monate nach dem Abmarsch aus Harderwijk, im heißen Monat April, erreichen sie die Reede von Batavia und werden ausgeschifft.

Louis Nietner: Die Ankunft auf Java:

"Den 16. Mai
So unter allerhand kleinen Abwechslungen kamen wir dann endlich Ende März in die Sundastraße, von dem Wundervollen dieses Anblicks könnt Ihr Euch aber keine Vorstellung machen. Am Eingang der Straße, zwischen Sumatra und Java liegt erst die Prinzeninsel, an ihr segelten wir hart vorbei - diese Berge mit Palmen bis in die Gipfel bewaldet, wo dann die silbernen Wolken darüber hinziehen, und am Ufer dies undurchdringbare Gebüsch von Bambus, Pisang, Kanna und Gott weiß war da alles durcheinander wächst. Die verschiedensten Arten von Papageien flogen gegen das Schiff heran, kehrten aber bald in die schattigen Wälder zurück. Von Bewohnern oder nur bebautem Land, war keine Spur zu entdecken, [...] alles im wilden herrlichen Naturzustande. [...] Erst als wir die Nord-Ost-Spitze von Java umsegelt hatten, zeigten sich Spuren von Anbau, Reis und Indigofelder.
Am 3. April ließen wir den Anker auf der Reede von Batavia fallen. Am folgenden Tag wurden wir ausgeschifft und nahmen sogleich unseren Marsch nach Weltefreden, einen Ort, der sich zu Batavia wie etwa Schönhausen zu Berlin verhält. [...]
In Weltefreden erhielten wir sechs Tage Ruhe, in denen ich mich ordentlich in der Umgegend umsah. [...] Ich hatte dann das Los, nach Kadong-Keboe [Kebumen?] zu marschieren, zehn Tagemärsche von Batavia.
Dieser Marsch war nun ganz etwas für mich. Des Morgens in aller Frühe brachen wir immer auf, so dass wir gegen 8 Uhr schon wieder auf der nächsten Station waren, denn drei Meilen ist hier ein Marschtag. So kam ich ganz gemächlich durch die reizendsten Gegenden mit meinen Mannschaften.
An Käfern dachte ich viel mehr hier zu finden, meistens waren es Chrysomelynen, die ich gefangen doch glaube ich wohl, dass seltene genug darunter sein werden, denn ich habe mit Kennerblick alle Winkel durchstöbert. Bupresten und Elater habe ich noch keinen einzigen gefangen, Caraben nur einzelne. [...]
Von Kadong-Keboe musste ich noch drei Tagereisen weiter auf das reizend gelegene Fort Gombong [Fort van der Wijk, Zentraljava, erbaut 1818/19]. In einem Marsch von 40 Meilen habe ich Java von Norden nach Süden durchwandert. [Die Heerstraße, die Java von Westen nach Osten quert, war 1808 erbaut worden.]
Ich bin, abgesehen von meinem höchst unangenehmen Zustand, immer gesund gewesen und begreife nicht, wie man in wenigen Tagen so ungeheuer schwach werden kann.
Die Aussichten, Offizier zu werden sind nicht ungünstig, aber es gefällt mir hier (die Natur abgerechnet) so entsetzlich schlecht, dass ich die erste Gelegenheit mit Ehre heimzukehren ergreifen werde."


Ludwig Hermann Theodor Nietner starb am 3. Juni 1849. Sein Brief kam am 26. Juli 1849 in Schönhausen an. Louis Bruder Paul fertigte sofort eine Abschrift und schickte sie an seine Tante Pauline Persius geb. Sello nach Sanssouci. In ihrem Nachlass hat sich die Abschrift erhalten.

Ergebnis der Datenbankrecherche auf www.roosjeroos.nl:

Gezocht in:overlijden
Totaal aantal gevonden records:1
Record:1 t/m 1
Overledene:Ludwig Herman Theodor Nietner (Militair)
Plaats (residentie,afdeling):(Bagelen,Keboemen)
Datum:03-06-1849
Opmerking(en): 
Bijregister: 
RA jaar/bladzij:1850/444

Hermann Heinrich Gerhard Peltzer (1817-1882) machte in Ostindien Karriere, heiratete 1850 Johanna Carolina Bohl (1832-1914) von javanischer Abstammung, sie hatten 11 Kinder. 1863 kehrte er mit seiner Frau in die Niederlande zurück, viele Nachkommen blieben in Java.

Quellen:

  • Tagebuch und Brief von Louis Nietner an seine Eltern und Geschwister, Familienpapiere
  • Allgemeen Handelsblad, Amsterdam, 13.11.1848, www.delpher.nl
  • Hermann Heinrich Gerhard Peltzer, Journal van mijne Reis van Harderwijk naar Batavia. [het reisjournal van H.H.Peltzer betreffende een reis van Harderwijk naar Batavia op de bark "Laurens Koster" (kapitein D.R.Kleve van 12 november 1848 tot 03 april 1849, (Kopie des handschriftlichen Manuskripts) Transcriptie en annotaties door S. Parma, mei 2001]
  • Huweliken en overlijden, 1850/444" (Niederl. Register Heiraten und Todesfälle)
Anmerkung:
Im April 2014 erreichte uns eine Anfrage aus den Niederlanden betr. den Hofgärtner Theodor II Nietner. Es stellte sich heraus, dass seit 1811 familiäre Bindungen zwischen der Hofgärtnerfamilie Nietner und der Familie Peltzer bestehen, deren Mitglieder in den Diensten des niederländischen Königshauses standen. Im Zuge der Zusammenarbeit konnte das Schicksal von Ludwig Hermann Theodor (Louis) Nietner geklärt werden.
Die Begegnung mit Nachkommen der Familie Peltzer hat unser Leben bereichert, wir danken herzlich für die Überlassung des Tagebuchs von Hermann Peltzer und die freundschaftliche Zusammenarbeit.

S.E. + B.E., Nov. 2014


letzte Änderung 17.03.2022 15:17 CET
durch sello-webteam